Der MDR1-Defekt sollte in der Zucht betroffener Hunderassen berücksichtigt werden.
Dabei muss insbesondere bei den stark betroffenen Rassen, wie dem Collie, eine langfristig angelegte Zuchtstrategie verfolgt werden.
Der MDR1-Genotyp eines Hundes ergibt sich aus der Kombination eines von väterlicher (+ oder -) und eines von mütterlicher Seite (+ oder -) vererbten Merkmals.
“+” steht dabei für ein intaktes MDR1-Gen und “-” für ein defektes MDR1-Gen bezogen auf das Merkmal MDR1 nt230(del4).
Für den MDR1-Genotyp eines Hundes gibt es drei verschiedene Möglichkeiten:
Nicht betroffen (MDR1+/+),
heterozygot betroffen (MDR1+/-) und
homozygot betroffen (MDR1-/-).
Ist der MDR1-Genotyp zweier Zuchttiere bekannt, kann bereits eine theoretische Voraussage über den MDR1-Genstatus der Nachkommengeneration getroffen werden.
Betroffene Tiere mit dem Genotyp MDR1-/- können aus einer Kreuzung der Genotypen MDR1+/- x MDR1+/-, MDR1+/- x MDR1-/- oder MDR1-/- x MDR1-/- entstehen.
Bei Kreuzung der Genotypen MDR1+/+ x MDR1-/-, MDR1+/+ x MDR1+/-, und MDR1+/+ x MDR1+/+ entstehen dagegen keine betroffenen MDR1-/- Tiere.
MDR1 ist ein Transportsystem, welches im Organismus an der Verteilung und Ausscheidung von vielen Arzneistoffen beteiligt ist.
Die Funktion von MDR1 in der Blut-Hirn-Schranke ist in Abbildung 1 dargestellt:
Versucht ein Arzneistoff wie Ivermectin aus dem Blut über die Blut-Hirn-Schranke in das Gehirn einzudringen, wird dieser von MDR1 erkannt und zurück
in das Blut transportiert. Durch diesen aktiven Transport wird der Übertritt von Fremdstoffen in das Nervengewebe blockiert.
Damit schützt der MDR1-Transporter das Gehirn vor einer Überschwemmung mit potenziell schädlichen Arznei- und Fremdstoffen.
Fehlt MDR1 bei Hunden mit MDR1-Gendefekt (MDR1-/-) kann der Arzneistoff die Blut-Hirn-Schranke passieren und so in das Gehirn eindringen.
Im Falle des Ivermectin werden dabei so hohe Konzentrationen erreicht, dass es zu gravierenden Nebenwirkungen kommt, welche häufig zum Tod des betroffenen
Hundes führen. Da neben Ivermectin zahlreiche weitere Arzneistoffe von MDR1 transportiert werden, sind Hunde mit MDR1-Defekt von
einer multiplen Arzneistoffüberempfindlichkeit betroffen.
Zu MDR1+/+:
Der Defekt MDR1 nt230(del4) wurde nicht nachgewiesen. Nach derzeitigem Kenntnisstand liegt ein funktionsfähiges MDR1-Transportsystem vor.
Bei der Arzneimitteltherapie müssen diesbezüglich keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Nebenwirkungen)
aufgrund anderer Ursachen können nicht ausgeschlossen werden.
Zu MDR+/-:
Der Hund ist heterozygoter Merkmalsträger für den Defekt MDR1 nt230(del4). Der Defekt wurde nur von einem Elternteil vererbt und kann weitervererbt werden.
Es kann zu einer Zunahme von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (Nebenwirkungen) bei einer Therapie mit Zytostatika und makrozyklischen Laktonen (hochdosiert) kommen.
Zu MDR1-/-:
Der Hund ist homozygot von dem Defekt MDR1 nt230(del4) betroffen. Es fehlt ein funktionsfähiges MDR1-Transportsystem in der Blut-Hirn-Schranke,
Leber, Niere, Plazenta und den hämatopoetischen Stammzellen.
Der Defekt wurde von beiden Elternteilen vererbt und kann weitervererbt werden.
Bei der Therapie dürfen bestimmte Arzneistoffe nicht angewendet werden.
Unabhängig von der multiplen Arzneistoffüberempfindlichkeit wissen wir heute, dass es bei MDR1-/- Hunden zu einer Fehlsteuerung endokriner Regelkreise kommt.
Dies äußert sich in erniedrigten Cortisolspiegeln und führt in einem Stress- oder Krankheitszustand unter Umständen zu einer eingeschränkten
Stressbewältigung bzw. Regenerationsfähigkeit. Des Weiteren mehren sich die Hinweise, dass MDR1-/- Hunde eine erhöhte Anfälligkeit für die Entwicklung
chronisch entzündlicher Darmerkrankungen aufweisen. Klinische Studien zur Untersuchung dieser Problembereiche werden in den nächsten Jahren erwartet.
1. Makrozyklische Laktone
Arzneistoffe aus dieser Gruppe (Ivermectin, Doramectin, Selamectin, Moxidectin, Milbemycinoxim) werden beim Hund zur Therapie parasitärer Erkrankungen eingesetzt.
Zu einer Aufnahme kann es aber auch im Rahmen der Entwurmung von Pferden mit hoch dosierten Präparaten kommen, welche bei Unachtsamkeit von Hunden aufgenommen
werden. In beiden Fällen kommt es bei MDR1-/- Hunden zu gravierenden und zum Teil lebensbedrohlichen Vergiftungen.
Diese äußern sich initial als Mydriasis, Visusverlust, Ataxie, Hypersalivation, Desorientiertheit und Krämpfen und gehen dann in einen mehrere Tage andauernden
komatösen Zustand über, welcher einer intensivmedizinischen Behandlung bedarf. Besonders kritisch ist dabei der lang anhaltende ZNS-depressive
Zustand sowie eine Beeinträchtigung der Magen-Darm-Motorik bei zeitweise aussetzendem Schluckreflex. Dies führt häufig zum Auftreten von Sekundärkomplikationen.
1.1 Vergiftungen durch therapeutische Applikation
Makrozyklische Laktone dürfen, sofern nicht explizit für den Hund zugelassen, nicht bei MDR-/- Hunden angewendet werden,
da es zu lebensbedrohlichen Vergiftungen kommen kann. Ein MDR1-Gentest ist daher zwingend vor dem hoch-dosierten Einsatz von Makrozyklischen Laktonen,
z.B. zur Therapie der generalisierten Demodikose. Auch heterozygote MDR1+/- Hunde zeigen hierbei vermehrt Nebenwirkungen wie Mydriasis und Ataxie,
welche aber beim Absetzen der Präparate auch ohne Behandlung innerhalb eines Tages reversibel sind.
1.2 Unbewusste Aufnahme im Rahmen der Entwurmung von Pferden
MDR1-/- Hunde müssen der Entwurmung von Pferden mit Ivermectin- oder Moxidectin-haltigen Präparaten dringend fern gehalten werden,
da es selbst bei Aufnahme sehr geringer Mengen dieser hoch dosierten Präparate zu gravierenden Vergiftungen von MDR1-/- und auch MDR1+/- Hunden kommen kann.
Insbesondere neuere Präparate in Tablettenform wie Equimax Tabs®, Eraquell Tabs®, oder Vectin® können für Hunde mit MDR1-Defekt extrem gefährlich sein:
Bereits die Aufnahme einer einzigen Tablette mit ~20 mg kann bei MDR1+/- Hunden leichte Vergiftungssymptome hervorrufen und ist für MDR1-/- Hunde sogar tödlich!
1.3 Sichere Anwendung von Makrozyklischen Laktonen
Nur für sehr wenige Arzneistoffe wurde bisher die Sicherheit der Therapie auch bei MDR1-/- Hunden untersucht und bestätigt.
Dazu zählen insbesondere drei für den Hund zugelassene Präparate aus der Gruppe der Makrozyklischen Laktone: das Moxidectin-Präparat Advocate®,
das Selamectin-Präparat Stronghold® und die Milbemycinoxim-Präparate Milbemax® und Program Plus®.
Allerdings müssen alle genannten Präparate auf Grund der geringeren therapeutischen Breite bei MDR1-/- Hunden streng nach Herstellerangaben verabreicht werden.
Insbesondere sind eine Überdosierung dieser Präparate sowie eine versehentliche orale Verabreichung der spot-on Präparate Advocate® und Stronghold® zu vermeiden.
2. Loperamid (Imodium®)
Loperamid wird häufig auch ohne Konsultation eines Tierarztes zur Behandlung von Durchfallerkrankungen des Hundes eingesetzt.
Bei MDR1-/- Hunden passiert das sonst nur peripher wirksame Loperamid die Blut-Hirn-Schranke und löst so ein schweres und komplexes Vergiftungsgeschehen aus,
welches nur schwer zu therapieren ist. Loperamid darf daher bei MDR1-/- nicht angewendet werden.
3. Zytostatika
Zytostatika wie Vincristin oder Doxorubicin, welche zum Beispiel im Rahmen der Lymphomtherapie beim Hund eingesetzt werden,
sind hoch toxisch fÜr MDR1-/- Hunde. Dabei sind vor allem das Blutbildende System und der Gastrointestinaltrakt betroffen.
Ein Test auf MDR1-Defekt wird daher vor der klinischen Anwendung dringend empfohlen. Unter Therapie bedürfen
sowohl MDR1-/- als auch MDR1+/- Hunde einer besonderen Überwachung um gravierende Nebenwirkungen rechtzeitig zu erkennen und die
Therapie entsprechend anzupassen bzw. abzusetzen.
4. Emodepsid (Profender®)
Der in dem Präparat Profender® enthaltene Wirkstoff Emodepsid gehört zu den MDR1-Arzneistoffen.
Entsprechend ist bei MDR1-/- Hunden die therapeutische Breite dieser Substanz reduziert.
So wurden in einer kontrollierten Studie bei MDR1-/- Hunden schon nach Gabe der doppelten empfohlenen Dosis kurzzeitiges,
leichtes Zittern und Ataxie beobachtet. Die Symptome klingen ohne Behandlung vollständig ab; ein spezifisches Gegenmittel ist bisher nicht bekannt.
Darüber hinaus wird von Seiten des Herstellers darauf hingewiesen, dass die Anwendung wegen der Formulierung als Retardtablette nur bei nüchternen
Tieren erfolgen darf und eine Fütterung kurz vor oder kurz nach der Tabletteneingabe die Verträglichkeit herabsetzt. Während sich bereits gezeigt hat,
dass es bei korrekter Anwendung und Dosierung von Profender® selbst bei MDR1-/- Hunden nicht zu einem vermehrten Auftreten von Nebenwirkungen kommt,
kann es bei der Anwendung an nicht-nüchternen MDR1-/- Hunden bereits bei einer Standarddosis zu Zittern,
Ataxie und Erbrechen kommen. Bei der Anwendung von Profender® an MDR1-/- Hunden sind die Anwendungsvorschriften des Herstellers daher zwingend einzuhalten.
5. Opioide
Neben Loperamid wurde für zahlreiche weitere Opioide eine Interaktion mit dem MDR1-Transporter nachgewiesen.
In einem MDR1-defekten Mausmodell konnte sogar gezeigt werden, dass Morphin, Methadon und Fentanyl bei Fehlen von MDR1 viel stärker über die B
lut-Hirn-Schranke permeieren und so eine stärkere analgetische Wirkung erzeugen als bei MDR1-intakten Mäusen.
Entsprechendes muss auch für MDR1-/- Hunde angenommen werden, wobei klinisch insbesondere die atemdepressive Wirkung dieser
Opioide im Rahmen von Narkosen als kritisch zu bewerten ist. Ein Einsatz der genannten Arzneistoffe bedarf bei MDR1-/- Hunden daher besonderer Sorgfalt und Überwachung.
6. Weitere kritische Arzneistoffe
Für zahlreiche weitere Arzneistoffe wurde eine Interaktion mit dem MDR1-Transporter bestätigt.
Diese Arzneistoffe sollten nur unter gründlicher Nutzen-Risiko-Abwägung und unter Beachtung der pharmakokinetischen
Besonderheiten bei MDR1-/- Hunden angewendet werden. Durch das Fehlen eines funktionsfähigen MDR1-Transporters kann
es leicht zu einer unbewussten Überdosierung der entsprechenden Arzneistoffe kommen und es muss mit einem vermehrten Auftreten von
Nebenwirkungen gerechnet werden. Eine MDR1-Genotyp basierte Dosierung wäre bei MDR1-/- Hunden wünschenswert, ist für die
meisten problematischen Arzneistoffe aber bisher noch nicht etabliert. Für die Arzneistoffe Acepromazin und Butorphanol kann aber auf Grundlage
klinischer Erfahrung bereits eine Dosisreduktion um 30-50% empfohlen werden.